Gedanken

Aktuell passiert um mich herum gefühlt gar nichts. Die Zeit scheint still zustehen, ein Tag gleicht dem anderen mehr und mehr; und dennoch vergehen die Tage wie im Flug.

Andererseits passiert gerade sehr viel. Hinter den Fassaden. Hinter den Vorhängen. Hinter den Masken.
In den Köpfen und in den Herzen scheint sich bei vielen Menschen gerade etwas zu verändern. Und nicht bei allen zum Positiven.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen um mich herum den Mut verlieren. Den Sinn für ihr Leben. Ihre Kraft. Ihre Identität.

Wenn die äußeren Strukturen dazu dienen, dir Halt und Sinn im Leben zu geben, kann es dir natürlich passieren, dass du mit zunehmender Destabilisierung der äußeren Strukturen du auch deine vermeintliche innere Struktur verlierst.
Wer bist du ohne deine Arbeit? Wer bist du ohne dein Haus? Wer bist du, wenn deine Fassade anfängt zu bröckeln?
Auf diese Fragen sind wir definitiv nicht vorbereitet worden.

In meinem Umfeld erlebe ich Menschen mit starken Ängsten, bis hin zu panischen Zuständen. Mit depressiven Verstimmungen bis hin zu Selbstmordgedanken. Immer öfter höre ich nun von Menschen, die in die Notaufnahme der Krankenhäuser müssen, wegen unerklärlicher, starker Schmerzen oder aber auch schwerer psychischer Probleme.
Sie erleben sich gerade in einer Zeit großer Unsicherheit und Instabilität.

Wenn es dir gerade in dieser schwierigen, herausfordernden Zeit nicht gut geht, hab den Mut, auf deine Mitmenschen zuzugehen, und mit ihnen darüber zu reden. Sprich über deine Ängste, Sorgen… über deinen Kummer und vielleicht auch deine Einsamkeit und Bedürfnisse.
Es ist keine Schande, nichts wofür man sich schämen müsste.
Das was „da draußen“ gerade passiert, ist eine absolute Ausnahmesituation.

Wir haben vermutlich alle diese Sprüche in unseren Köpfen:

  • Du musst jetzt stark sein…
  • Reiß dich zusammen…
  • Hab keine Angst…
  • Stell dich doch nicht so an…
  • Denk doch mal nach, das ist doch nicht so schlimm…
  • Konzentriere dich doch auf die positiven Aspekte…
  • …und viele mehr davon…

Hast du dich auch mal gefragt, was eigentlich mit diesen sehr wenig aussagekräftigen Floskeln gemeint ist?
Wie geht das, „stark sein“?
Wie „reißt man sich zusammen“, wenn du gerade das Gefühl von innerer Zerrissenheit hast?
Wie hat man denn keine Angst, wenn man ja doch gerade Angst hat? Usw…
Kannst du dich daran erinnern, wie sich irgendwann in deinem Leben mal jemand mit dir zusammen hingesetzt hat, und dir erklärt hat, wie das mit der Angst funktioniert? Wie man damit umgeht? Kann man die denn tatsächlich weg machen? Einfach so?
Wer hat dir denn beigebracht, wie man stark ist? Was bedeutet das denn?
Klar, wenn ich mit bloßen Händen ein Auto umwerfen kann, bin ich vermutlich sehr stark.
Aber wie ist man so stark, seine eigenen Gefühle zu bewältigen, wenn sie einen gerade zu überwältigen drohen?
Hat sich mal jemand mit dir hingesetzt, und dir erklärt, wie man sich konzentriert? Wie man Herr über seine Gedanken wird? Warum man denkt, was man denkt; und wie man sich von seinen eigenen Gedanken nicht beherrschen lässt?

Und ausgerechnet zu dieser Zeit, wird der Markt regelrecht überschwemmt mit diesen Selbst-Optimierungs-Coaches und diesen Mindest-Coaches.
Sie erklären dir euphorisch, dass du nur ausreichend an dir „arbeiten“ musst, dein Mindest in den Griff bekommen musst, dann schaffst du alles.
Lass dich nicht noch zusätzlich verunsichern. Sei wachsam, mit welchen Versprechen da gehandelt wird.
Ich kenne persönlich Menschen, die auf Instagram ein Leben in Leichtigkeit beschreiben, deren Mindest nicht annähernd so ist, wie es sich auf deren Profil darstellt, und deren Welt gerade stark wankt…
Wäre das alles so einfach, dann gäbe es die Psychologie ja nicht.
Wir würden alle gemeinsam den ganzen Tag irgendwelche motivierenden Mantren vor uns hin murmeln, und alles wäre fein.
Es ist nicht so einfach wie uns manche glauben machen wollen.
Technisch gesehen ja. Menschlich gesehen eben nicht. Die Psyche ist nicht die Summe deiner Gedanken. Deine Gedanken sind Ausdruck deiner Psyche.

Es macht also keinen Sinn, wenn du anfängst an dir zu zweifeln, weil du dich scheinbar nicht mal eben so „selbst optimieren“ kannst.

Für den Anfang würde es schon mal reichen, du könntest deine Gefühle tatsächlich zulassen und fühlen; und differenziert zuordnen.
Aus meiner Erfahrung heraus ist das nicht ganz so einfach, wie es klingt.
Wenn man seine Wut zum Beispiel mal nicht an jemandem auslässt, sonder bereit dazu ist, sich hin zu setzen, und sie einfach zu fühlen… ohne Gedanken, und Wertungen… die reine Wut… würde man am Ende vermutlich feststellen, dass die Wut einfach verschwindet, und einem ganz anderen Gefühl das Feld eröffnet. Vielleicht zeigt sich dann mal deine Angst…, deine Traurigkeit…, deine Schuldgefühle…., deine Schamgefühle… die du, weil du „stark sein“ wolltest, mit Wut überspielt hast.
Ich wusste die meiste Zeit meines Lebens nicht, dass ich große Angst vor dem Leben hatte und meiner Angst mit Wut Ausdruck verliehen hatte.
Es hat auch sehr lange gedauert, bis ich verstanden hatte, dass mein großer Hass, den ich so oft gespürt, und vor allem auch verurteilt habe, nur ein Schutz war, um meiner tiefen Traurigkeit und Einsamkeit nicht begegnen zu müssen.
Eine unglaubliche Selbsttäuschung; die aufzudecken nicht so einfach ist.
Ein gutes Beispiel dafür, wenn „stark sein“ völlig falsch interpretiert wird.
Klar ist auch, dass man als der Schöpfer dieses Irrtums sich nicht selbst einfach so auf die Schliche kommt, und sich mal ebenso nur durch Mindest selbst-optimiert.

Ich habe vor wenigen Wochen einen sehr lieben Menschen verloren. Sie hat in dieser Zeit jede Zuversicht und Hoffnung verloren, und sich das Leben genommen. Nach außen hin wirkte sie stark. Lebensbejahend. Voller Mut und Hoffnung. In Ihr war so viel Liebe für ihre Mitmenschen, dass niemand auf den ersten Blick gedacht hätte, sie könnte auch mal den Mut und die Hoffnung verlieren.

Meine Botschaft an dich soll also sein, dass du nicht mit aller Gewalt gegen dich versuchst stark zu sein. Innere Stärke ist nicht die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle zu unterdrücken und zu bekämpfen. Erlaube dir auch schwach zu sein, Hilfe anzunehmen. Kümmere dich gut um dich.
Jetzt ist die richtige Zeit, um einmal genau hin zu schauen. Nur so ist Wachstum möglich.

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